- Tabita Rezaire
Im kosmologischen Nebel der Tabita Rezaire
Im kosmologischen Nebel der Tabita Rezaire
von Pia Draskovits,
Die französisch-guayanische Künstlerin Tabita Rezaire ist derzeit mit der Einzelausstellung „Calabash Nebula. Cosmological Tales of Connection“ im Weltmuseum Wien zu Gast. Der Titel verdankt sich dem astronomischen Nebel mit der technischen Bezeichnung OH 231.8+4.2, der schätzungsweise 5000 Lichtjahre von unserer Sonne entfernt vor Augen führt, wie der „Tod eines Sterns“ aussieht.❶ Gasförmige Nebel sind zudem die Wiege jedes neuen Sterns – dieses Potential neuer Realitäten doppelt sich nun in einer weiteren Anspielung: Calabash (oder auf Deutsch: Kalebasse) bezieht sich nämlich auch auf den Flaschenkürbis, der verzehrt, aber auch zu (Trink-)Behältern und Musikinstrumenten verarbeitet werden kann. In vielen indigenen Kulturen ist die Kalebasse ein Symbol für die menschliche Existenz sowie das Potential, alles zu enthalten – kein geringer Anspruch also, den Rezaires Arbeiten da erheben.
und den Tiefen des Ozeans
Die Ausstellung besteht aus drei raumgreifenden Installationen, die gemeinsam eine Art Ökosystem im indigoblau abgedunkelten Kosmos des Weltmuseums bilden: Die Arbeit mit dem doppeldeutigen Titel Des/astres – „Desaster“ und „die Sterne“ teilen sich im Französischen die gleiche Schreibweise – von 2024 war zuvor bei TBA21, Madrid, und in der Fondation Louis Vuitton, Paris, zu sehen. Sie vereint ein carbet, eine traditionelle Architektur in Französisch-Guayana, mit von Hand geknüpften Hängematten der Kalina und Lokono sowie einem einstündigen Film, der an die runde Decke der Hütte projiziert wird, wo üblicherweise mythologische Himmelsdarstellungen angebracht sind. Der Film wurde auf dem Guayana-Plateau im amazonischen Regenwald gedreht und entfaltet in vier Kapiteln – „Forest“, „Water“, „Stone“ und „Sky“ – eine formal eigenwillige Auseinandersetzung mit der Kultur und Geschichte der Region, in der Volksglaube und wissenschaftliche Theorie nebeneinander bestehen. Steinkreise und Bäume werden wie die Raketen des Raumfahrtzentrums von Guayana zu gleichberechtigten Technologien der kosmischen Erkundung. Historiker:innen, Astrophysiker:innen und Schaman:innen beleuchten das fortbestehende koloniale Erbe sowie die sozialen und ökologischen Krisen des Landes, das heute mit dem Sitz der ESA das Zentrum der europäischen Raumfahrt bildet.

Tabita Rezaire, Detail aus Des/astres, 2024, Installation (Holz, Palmenblätter, handgewebte Baumwoll-Hängematten, Planetarium, Video: 62′ 20″)
Die Ausstellung besteht aus drei raumgreifenden Installationen, die gemeinsam eine Art Ökosystem im indigoblau abgedunkelten Kosmos des Weltmuseums bilden.
Die Ausstellung besteht aus drei raumgreifenden Installationen, die gemeinsam eine Art Ökosystem im indigoblau abgedunkelten Kosmos des Weltmuseums bilden.

Tabita Rezaire, 2023 | Foto: Yussef Agbo-Ola
Des/astres zeichnet sich durch ein dichtes Netz unterschiedlichster Diskurse aus, aus dem je nach Laune und Interesse einzelne Stränge herausgearbeitet werden können: So wird beispielsweise die Doktrin der „terra nullius“, die Idee eines leeren, unbewohnten Raumes, der problemlos besiedelt werden kann, aufgegriffen und vorgeführt, wie sich die einstige, koloniale Denkweise heute in der Weltraumkolonisierung wiederholt. Sehr interessant sind auch die kurzen Schlaglichter auf die Forschung von Elizabeth A. Kessler, welche die Kolorierung der Hubble-Weltraumfotos untersuchte und nachwies, dass die Farbgebung maßgeblich von der Epoche der (Spät-)Romantik (speziell von den Malern William Turner und Thomas Moran) beeinflusst wurde.❷ Die Verankerung der wissenschaftlichen und angeblich neutralen Darstellungen des Himmels und des Kosmos in Bildtraditionen, die von weißen, westlichen Männern geprägt wurden, führt die Naturalisierung von deren Sicht eindrücklich vor Augen.
Im physischen Ausstellungsraum wird Des/astres den zwei Installationen Omo Elu und OMI: Yemoja Temple, beide von 2024, gegenübergestellt. Die Arbeit Omo Elu ordnet sieben in Indigo eingefärbte Textilbahnen in einem Kreis an, in dessen Mitte eine Trommel positioniert ist. Auf den Stoffen finden sich Darstellungen von Yemoja, einer yorubanischen Gottheit, die als Schutzherrin des Wassers, der Mutterschaft und der Farbe Indigo gilt. Wortwörtlich als „Mutter der Fische“ zu verstehen, sieht Tabita Rezaire Yemoja aber auch als die primäre Energie der Schöpfung – die Quelle des vergänglichen Lebens.
Auch die Skulptur OMI: Yemoja Temple bezieht sich auf ebenjene Göttin. In Zusammenarbeit mit dem Architekten Yussef Agbo-Ola und den Verhaltensbiolog:innen Alex Jordan und Anja Wegner vom Max-Planck-Institut Konstanz entstand eine Installation, die eine gemeinsam durchgeführte Studie zum Sozialverhalten von Fischen im Tanganjikasee in Adire-Stoffe übersetzt. Die indigo-gefärbten Baumwollstoffe, deren Batikmuster soziologische, religiöse oder naturalistische Bedeutungen haben, arrangiert Rezaire gemeinsam mit Yussef Agbo Ola zu einem Tempel in Form eines überdimensionalen Wassertropfens – als kleinster Einheit des Ozeans.
Trotz der mannigfaltigen Bezüge zwischen den drei gezeigten Arbeiten können die textilen Skulpturen nicht mit den vielschichtigen Videos Rezaires mithalten. Deshalb lohnt es sich unbedingt, Des/astres losgelöst von dieser Ausstellung auch als letzten Teil einer Filmtrilogie zu denken, in der Rezaire regional und historisch unterschiedliche Vorstellungen des Kosmos verhandelt: Während Mamelles ancestrales (2019) steinerne Monumente der Region Senegambia untersucht und die damit verbundenen Vorstellungen von Tod, Himmel und Erde beleuchtet, reflektiert Orbit Diapason (2021) die Existenz außerirdischen Lebens anhand einer megalithischen Stätte in Südafrika. Am Ende jedes Films raucht einem der Kopf angesichts der vielen präsentierten Phänomene – gleichzeitig tauchen zu jedem mindestens doppelt so viele Folgefragen auf. Gerade darin liegt die Stärke von Rezaires Arbeiten, denn – wie es ein Wissenschaftler in Des/astres treffend formuliert – schon allein eine Frage stellen zu können erfordert Wissen.
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Siehe esahubble.org/images/potw1705a/ (zuletzt aufgerufen am 24.11.2025).
- ❷
Elizabeth A. Kessler, Picturing the Cosmos: Hubble Space Telescope Images and the Astronomical Sublime, University of Minnesota Press, 2012.



