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Wearing the Walls: Alix Eynaudi und Christian Kosmas Mayer zu Gast im Blickle Raum Spiegelgasse, Wien

Alix Eynaudi
Christian Kosmas Mayer

von Andreas Spiegl,

Alix Eynaudi und Christian Kosmas Mayer waren eingeladen, ein Projekt im Blickle Raum Spiegelgasse in Wien zu konzipieren und im Oktober 2025 zu verwirklichen. Dieser Projektraum befindet sich im Dachgeschoß des berühmten Ankerhauses, das im Jahr 1894 von Otto Wagner entworfen wurde und ursprünglich auch ein Fotostudio im obersten Stockwerk beherbergte, in unmittelbarer Nachbarschaft zum heutigen Blickle Raum. Das aktuelle Programm des Projektraums, das von Tina Schelle kuratiert wird, konzentriert sich auf experimentelle Formen der Zusammenarbeit von Künstler:innen, die in unterschiedlichen Feldern oder Genres arbeiten – in diesem Fall auf die Kooperation zwischen der Künstlerin und Choreografin Alix Eynaudi mit dem Künstler Christian Kosmas Mayer. Gemeinsam beschlossen die beiden, ihr Projekt mit einer Reflexion über die Geschichte des Gebäudes und seine sozialen, künstlerischen und persönlichen Einschreibungen zu beginnen. Das ursprüngliche Fotostudio daneben – oder genauer gesagt direkt hinter der Wand des Blickle Raums – sollte den Ausgangspunkt ihrer Kooperation bilden: Wie der Titel „Wearing the Walls“ nahelegt, wurde die Wand dabei aber weniger als fester Bestandteil der Architektur betrachtet, sondern als opake Membran – als eine Art Filter, der eine Kommunikation oder Beziehung zwischen den unterschiedlichen Räumen zulässt; oder wenn man so will: als Nahtstelle zwischen einem imaginären und visuellen Moment. Da Christian Kosmas Mayer derjenige war, der diese Wand ganzflächig mit einer Tapete verkleidete, die ein scheinbar historisches Fotostudio abbildet, möchte ich das Interview mit ihm beginnen.

A.S.Christian, kannst du uns bitte erläutern, warum du diese digital transformierte Fotografie ausgewählt hast, die den ganzen Projektraum als Erweiterung eines imaginären Fotostudios erscheinen lässt?

C.K.MDas Ankerhaus war eines der ersten Gebäude, das über einen Raum verfügte, der eigens dem Fotografieren gewidmet war – entworfen wurde er noch bevor elektrisches Licht zur Standardausstattung gehörte. Da ich mich schon lange für die Frühgeschichte der Fotografie interessiere, war ich sofort neugierig und wollte das ehemalige Fotostudio besichtigen. Da sich dort aber heute eine Privatwohnung befindet, war dies nicht möglich. Anstatt den Ort zu besuchen, begann ich, mir das Atelier durch die Wand hindurch vorzustellen, die es vom Blickle Raum trennt. Gerade diese Schwierigkeit lieferte mir schließlich einen produktiven Ausgangspunkt: Mein konzeptueller Ansatz bestand darin, dass sich das Bild in dem Moment, in dem es diese Wand durchdringt, durch die Passage selbst verändert: Es wird verwandelt, verzerrt, gefiltert, verschoben. Was daraus hervorgeht, ist keine Rekonstruktion, sondern vielmehr ein Nachbild, das von Abwesenheit und Vorstellungskraft genauso geprägt ist wie von Geschichte. Dies eröffnete mir die Möglichkeit, auf eine bereits existierende Fotografie des Ateliers zurückzugreifen, die Carola Dertnig vor Jahren aufgenommen hatte, und diese anschließend digital um Narrative aus der Vergangenheit und Gegenwart des Studios zu erweitern. In dem dabei entstandenen Wandbild, das auch als Foto-Hintergrund dienen kann, finden sich Echos der frühen Fotografie, Spuren von Pflanzen, die dort wuchsen, als Friedensreich Hundertwasser den Raum nutzte, Anspielungen auf Architektur, die zum Körper wird, tanzende oder posierende Figuren und weitere Elemente, die keiner Erklärung bedürfen.

A.S.Da Fotostudios verschiedene Hintergründe als Raumillusionen anboten, waren die portraitierten Personen angehalten, ihre Charaktere entsprechend zu performen. In dem klassischen Lächeln, das man beim Fotografieren aufsetzt, findet sich noch heute ein Widerhall dieses performativen Moments – wenn man so will, ein Überbleibsel einer Kultur der Inszenierung und ein Begriff von Fotografie als Dokument einer Theatralität des Alltäglichen. Alix, du hast auf diese theatralische Szenerie geantwortet, indem du den Besucher:innen angeboten hast, Kostüme, die du bei verschiedenen Performances verwendet und aufbewahrt hast, anzuziehen und sich darin fotografieren zu lassen. Darf ich dich fragen, warum du das Publikum eingeladen hast, selbst Teil der Performance zu werden?

A.E.Die Zusammenarbeit mit der Kostümbildnerin An Breugelmans ist eine der größten und wertvollsten Konstanten in meiner Praxis. Sie ist langsam gewachsen, begleitet von Vertrauen, Humor, Auseinandersetzungen und einer Verbundenheit, die uns erlaubt, Stoffe und Ideen zwischen uns ohne Druck auszutauschen. An erlaubt es den Kleidern zu „denken“ – nicht (bloß) als Dekoration zu dienen, sondern als Akteurinnen im choreografischen Feld. Ihre Stücke bekleiden nicht nur; sie initiieren Rhythmen, laden gewisse Gesten ein und widersetzen sich anderen. Ich betrachte sie oft als Kolleginnen. Gemeinsam schaffen wir Räume, in denen sich Kostüme, Choreografien und Klänge ineinanderfügen, wobei offenbleibt, wer oder was die Handlung trägt. Ihre Stoffe tragen Spuren von Arbeit und Erholung, von Unfug und Widerstand. Sie entziehen sich eindeutigen Interpretationen durch Texturen, die von Geschicklichkeit und Berührung erzählen. Für mich bedeutet das Kunstschaffen eine Art von Versuchsanordnung, in der ich das trage, was bereits vorhanden ist. Ein Raum verlangt nach seinen eigenen Choreografien, auf die ich eingehe und sie zirkulieren lasse. Eine Arm- oder Fußbewegung wird zum Echo, zum Archiv. Wir erschaffen weniger, als wir immer wieder neu einüben, und die Kostüme machen das spürbar: Sie tragen frühere Bewegungen in sich, den Schweiß und eigene Erinnerungen, sie führen uns zurück zu diesen Kraftlinien. Letztlich ist es ein Akt des Kanalisierens – ein Akt, der die Vergangenheit wieder in Schwingungen versetzt und neue Ströme von Ideen und Empfindungen freisetzt. Dies weitet sich auf das Publikum aus: Indem sie in die Kostüme schlüpfen, werden sie Teil dieser zirkulierenden Texturen. Unsere Arbeit lädt sie ein in diesen gemeinsamen Raum des Auf-, Auf-, Aufführens (Re-, re-, restaging), in dem wir alle zusammen, auf unterschiedliche Weise, die Wände „tragen“.

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A.S.In eurem Projekt war das Publikum offensichtlich nicht mehr nur bloß Publikum: Besucher:innen, die Kostüme trugen, wurden selbst zu Performer:innen und hatten Teil am Entfalten des Settings, das nicht mehr zwischen dem Visuellen und Imaginären unterschied. Am ersten Abend habt ihr mit Sophie Thun und Markus Krottendorfer noch zwei weitere Künstler:innen und Fotograf:innen eingeladen, die Szenerie und die „Gast-Performer:innen“ im Bild festzuhalten. Die Installation von Scheinwerfern und Kameras verwandelte die Vernissage selbst in ein Fotoshooting – in ein Bilder-Machen von Bildern in Bildern oder ein Echo dessen, was ihr vorhin als Re-, re-, restaging beschrieben habt. Ich vermute, dass das Ankerhaus mit seinem prominenten Architekten und seiner Lage im Zentrum Wiens selbst ein Haus der Repräsentation war – ein anderes Kostüm für die, die dort lebten und arbeiteten. Am zweiten Veranstaltungsabend habt ihr dann eine imaginäre Führung durch das gesamte Gebäude angeboten und den Besucher:innen ermöglicht, eine Reise anzutreten, ohne dafür den Projektraum verlassen zu müssen. Könnt ihr uns vielleicht etwas mehr erzählen über diesen Akt des Reisens durch Wände und Zeiten?

A.E. + C.K.M.Wir gingen das Projekt so an, dass wir gemeinsam viel Zeit im Raum verbrachten, um unsere Aufmerksamkeit auf die Geschichten, Assoziationen und Empfindungen zu lenken, die dort schon da waren. Die drei Abendveranstaltungen gingen aus diesem ortssensiblen Ansatz hervor. Am ersten Abend, den du gerade gerade beschrieben hast, verwandelte sich, was eine gewöhnliche Ausstellungseröffnung hätte sein können, in ein Ereignis, bei dem wir als Gastgeber:innen unsere Besucher:innen in einen gemeinsamen Raum eines fotografischen Re-, re-, restagings einluden. Die Atmosphäre war dabei freudvoll, mit Menschen, die in die Kostüme schlüpften und vor dem Foto-Hintergrund posierten, während sie von Sophie oder Markus fotografiert wurden, die sich wiederum gegenseitig bei der Arbeit fotografierten. Es war eine lebendige Form, das Bild zu bewohnen und dem Bild zu erlauben, uns in sich aufzunehmen. Der zweite Abend hatte dagegen eine ruhigere, beschauliche Stimmung. Während wir abwechselnd sprachen, geleiteten wir die Teilnehmer:innen durch den Körper des Gebäudes: durch die Lücken, Stimmungen und Bewegungen, die sich über die Zeiten hinweg erhalten haben. Als wir uns alle hinlegten, immer paarweise – wobei eine Person mit ihrer Hand immer leichten Druck auf den Körper der anderen ausübte –, schien sich das Gebäude zu verdichten. Der Raum übte gleichsam einen Gegendruck aus, legte sich in unseren Atem, und wir schlüpften in dessen sich entwickelnde Choreografie. Diese imaginäre Tour erlaubte allen Anwesenden, das Gebäude für einen Augenblick zu tragen – ein gemeinsames Gleiten, in dem Körper, Wände, Stoffe und vergangene Momente zirkulierten, gelegentlich aneinanderstießen und auf ihrem Weg durch das Haus neue Gedanken und Empfindungen auslösten. Am dritten Abend legten wir eine Reihe von Parametern fest, die Raum für ein performatives Experiment boten: Zwei eingeladene „Schriftsteller-Orakel“, Miriam Stoney und Georg Döcker, nahmen eine nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Frage aus dem Publikum entgegen, auf die Han-Gyeol Lie und Alix – ohne die Frage jemals gehört zu haben – mit Bewegung und Musik antworteten. Die Antwort entwickelte sich aus dem Zusammenspiel von Alix’ Tanz, Han-Gyeols Musik, Christians Lichtregie, Miriams und Georgs Lesung und der Atmosphäre im Raum: letztlich ein offenes Format, in dem die Gedanken, Gesten, Klänge und der Raum zusammen die Antwort formten.

A.S.Wenn ihr von einer „Antwort“ sprecht, könnte man dann sagen, dass diese Entgegnung kritisch auf eine Kultur antwortet, die die Trennung von Identitäten und Rollenbildern fördert, indem ihr die Grenzen zwischen Autor:innenschaft und Publikum, Gastgeberin und Gast, meiner Sprache und eurer Sprache etc. aufzuheben sucht? Mir scheint hier das offene Prinzip der Commons zum Tragen zu kommen – eine geteilte Erfahrung all jener Menschen, (künstlerischen) Technologien und räumlichen Umgebungen, die an diesem Experiment teilhatten. „Wearing the Walls“ verwandelt die Wände in mobile Elemente und perforiert damit ihre Solidität und Identität. Die Wände werden zu Kostümen, und die Kostüme können zu imaginären Wänden oder Häusern mutieren, die Geschichten von anderen erzählen, welche wiederum Teil der eigenen Biografie werden. Dieses Perforieren imaginärer, dabei aber hegemonialer und institutioneller Grenzen hat einen politischen Subtext, der das Leben als eine Form des Tanzens mit dessen Bedingungen begreift, die zugleich visuell und imaginär erscheinen. Das, was ihr vorhin als „Assoziationen“ bezeichnet habt, ist in einem Bereich neben oder jenseits des Sichtbaren zu verorten – sozusagen als Gast, der vom Visuellen eingeladen wurde. Was bedeutet es für euch, wenn ein Kunstwerk oder eine Kunstpraxis ihre sichtbaren Momente hinter sich lässt und durch Assoziationen Teilhabe und eine gemeinsame Urheber:innenschaft erzeugt?

A.E. + C.K.M.Für uns ist der visuelle Aspekt einer Arbeit nur einer unter vielen. Bilder tragen, so wie Wände oder Kostüme, Geschichten in sich, ohne sie vollständig zu fassen. Wir interessieren uns deshalb für die Frage, wie ein Bild durchlässig werden kann, sodass die Autorität des eindeutig Sichtbaren letztlich ins Wanken gerät und sich ein Raum auftut für das, was damit einhergeht: Erinnerungen, Empfindungen, Missverständnisse und die Geschichten anderer Leute. Wenn ein Werk Assoziationen hervorruft, dann lädt es dazu ein, am Leben des Bildes teilzuhaben, geprägt von den Referenzen, Zweifeln und im Körper sedimentierten Kenntnissen der Betrachter:innen. Dadurch wird die Frage nach der Urheber:innenschaft unweigerlich verkompliziert. Jedes Kunstwerk, insbesondere eines, das in einem so vielschichtigen Gebäude beheimatet ist, vereinigt viele Akteur:innen in sich: frühere Bewohner:innen, Materialien, Gesten, Gewerke, Widerstände, überkommene Sehgewohnheiten und noch vieles mehr, was sich dort im Laufe der Zeit angesammelt hat. Wenn Besucher:innen ihre eigenen Rhythmen in den Raum tragen, vollenden sie das Werk nicht, sondern fügen sich in dessen entwickelnde Choreografie ein. Bei dieser Form der Partizipation geht es nicht um die Demokratie als Spektakel; vielmehr gilt es anzuerkennen, dass die Wahrnehmung selbst relational ist, dass das Kunstwerk von vielen Kräften mitgestaltet wird, die es durchströmen – inklusive der Menschen, die ihm begegnen, und der Fragen, die sie mit sich tragen. In diesem Sinne entsteht ein Ort einer temporären Gemeinschaft, an dem die Grenzen zwischen Sehen, Fühlen, Vorstellen und Bewohnen verschiebbar genug bleiben, damit sich etwas Unerwartetes ereignen kann.

A.S.Liebe Alix, lieber Christian, vielen Dank dafür, dass ihr eure Gedanken mit uns geteilt habt. (Übersetzt aus dem Englischen)

  • INFO
  • Blickle Raum Spiegelgasse

    Der Blickle Raum Spiegelgasse fungiert weniger als klassischer Ausstellungsraum, sondern als Projektraum und Schnittstelle zwischen künstlerischen Disziplinen. Lesungen, Performances, Installationen und Screenings verweben die Architektur des Raumes mit den jeweiligen künstlerischen Positionen.

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